Teilzeitheilige
Heute geht es um Sisterhood – ein Monolog über falsche Unterstützung, leere Posen und die stille Kraft echter Verbindung.
Ja, in den letzten Jahren und ganz besonders in den letzten Monaten begegnet mir immer wieder dieser eine Begriff – fast wie ein Heilsversprechen: Sisterhood. Frauen, die andere Frauen unterstützen. Frauen, die gemeinsam stark sind. Frauen, die sich gegenseitig tragen, ermutigen und feiern.
Das ist das Bild, das ich sehe – in Podcasts, in Social-Media-Posts, in Talkshows oder Diskussionen.
Und natürlich klingt das total toll und total schön.
Und natürlich will man daran glauben.
Und natürlich wünsche ich mir genau das: ein echtes Miteinander unter Frauen – und zwar nicht auf Eitelkeit, sondern auf Aufrichtigkeit basierend.
Aber ganz ehrlich: Wenn wir genauer hinschauen, dann sehen wir davon erschreckend wenig.
Ich sehe Frauen, die sich gegenseitig zwar Komplimente machen und dabei gleichzeitig mit scharfen Blicken messen, vergleichen und bewerten.
Ich sehe Frauen, die sich öffentlich loben und im selben Atemzug mit spitzen Bemerkungen treffen – zwar freundlich im Ton, doch zielsicher in der Wirkung.
Es ist ein sehr merkwürdiger Tanz aus Nähe und Abgrenzung. Ein Ich sehe dich – solange du mich nicht überstrahlst.
Und da frage ich mich:
Was ist das eigentlich für eine Form von Unterstützung, wenn sie nur dann gilt, solange man sich selbst im Vorteil wähnt?
Was bedeutet Sisterhood, wenn der Applaus nur denen gilt, die ins eigene Weltbild passen?
Und warum wird so oft geschwiegen – gerade dort, wo eine laute, aufrichtige Stimme eigentlich gebraucht würde?
Besonders deutlich wurde mir das zuletzt, als ich die Bilder aus dem Iran gesehen habe.
Diese Frauen, die sich in aller Öffentlichkeit die Haare abgeschnitten haben – nicht für einen Trend, nicht für ein neues Ich, sondern als Akt des Widerstands.
Als Zeichen dafür, dass ihr Körper ihnen gehört.
Dass ihr Leben und ihre Freiheit ihnen gehören.
Und dass ihre Würde nicht verhandelbar ist.
Ich sehe sie – diese Frauen, die auf die Straße gehen in einem Land, in dem ein Protest gegen das Regime den Tod bedeuten kann.
Ich sehe sie, wie sie ihr Gesicht zeigen, ihre Stimme erheben, ihre Angst abschütteln – und nicht, weil sie keine Angst haben, sondern weil sie keine Wahl mehr haben.
Weil der Preis des Schweigens längst höher ist als der Preis des Widerstands.
Und dann sehe ich hier – mitten in Europa – feministische Demonstrationen mit pinken Schildern, mit lautstarken Parolen, mit wohlformulierten Forderungen.
Was ich dort nicht sehe: eine klare, unmissverständliche Solidarität mit diesen Frauen.
Ich sehe keine Transparente für die Mädchen, die verschleppt wurden.
Keine lautstarken Reden für die Studentinnen, die exekutiert wurden, weil sie „Frau – Leben – Freiheit“ gesagt haben.
Ja, und das irritiert mich.
Es irritiert mich zutiefst.
Denn wer Sisterhood für sich beansprucht, kann nicht selektiv solidarisch sein.
Und wer für Frauenrechte einsteht, kann nicht wegsehen, wenn Frauenrechte mit Füßen getreten werden – nur weil es gerade politisch kompliziert, ideologisch unbequem ist oder weil es die eigene linke oder grüne Einstellung so nicht wahrhaben will.
Ja, was bleibt von all den großen Worten, wenn sie sich nicht in Haltung übersetzen?
Und wenn sie verstummen, sobald der Applaus fehlt?
Ich habe irgendwann aufgehört, diesen Etiketten zu vertrauen:
Empowerment. Sisterhood. Supportive Community.
Sie klingen groß, aber sie sind oft inhaltsleer.
Sie werden benutzt wie Modeworte und nicht gelebt wie eine wahre innere Überzeugung.
Ich gehe meinen eigenen Weg – nicht, weil ich besser bin, und nicht, weil ich unangreifbar bin, sondern weil ich gelernt habe:
Wahrhaftigkeit ist kein Trend, sondern eine Entscheidung – täglich, still und absolut konsequent.
Ich feiere keine Masken.
Ich klatsche nicht aus Höflichkeit.
Und ich unterstütze nicht, weil es andere von mir erwarten – sondern weil ich etwas oder jemanden wirklich erkenne.
Ich liebe starke Frauen.
Ich liebe stille Frauen.
Und ich liebe Frauen, die nicht gefallen wollen, sondern echt sind – die nicht im Rampenlicht stehen müssen, um Licht in den Raum zu bringen.
Diese Frauen sind selten laut.
Sie posten keine zehn Tipps für mehr Selbstliebe.
Aber sie sind da – wenn es zählt.
Und sie halten dich, ohne sich selbst zu verlieren.
Sisterhood, wenn es sie wirklich gibt, ist ein stiller Raum zwischen zwei Frauen.
Ein Raum, in dem nichts gesagt werden muss – und trotzdem alles verstanden wird.
Ein Raum ohne Konkurrenz, ohne Geltungsdrang und ohne versteckten Anspruch.
Ich habe diesen Raum erlebt.
Ich habe solche Frauen getroffen.
Mit ihnen würde ich weitergehen.
Mit ihnen möchte ich weitergehen.
Aber nicht mit jenen, die Empowerment rufen und dabei nur ihre eigene Bühne suchen.
Nicht mit jenen, die dir applaudieren – aber nur, solange du kleiner bleibst als sie.
Und nicht mit denen, die Sisterhood sagen – aber dich im entscheidenden Moment fallen lassen.
Und deshalb sage ich das jetzt ganz klar:
Ich werde diese Form der sogenannten Empowerment-Frauenbewegung nicht unterstützen.
Denn sie grenzt aus, sie bewertet und sie spaltet.
Ich trenne nicht zwischen Frau und Mann.
Ich unterstütze den Menschen, der handelt – und der für andere einsteht.
Ich unterstütze den Menschen, der den Mut hat, andere in ihrer Größe zu sehen – ohne Angst davor, selbst kleiner zu wirken.
Ich sehe den Menschen – nicht das Geschlecht, nicht das Etikett, nicht den Trend.
Und das würde ich jedem ans Herz legen.
Wenn du dich in diesen Gedanken irgendwo wiederfindest, dann nimm mit, was für dich wahr ist – und lass einfach liegen, was du nicht brauchst.
Denn am Ende zählt nicht, wie laut du für andere klatschst – sondern ob du in der Stille stehen bleibst, wenn es wirklich darauf ankommt.
Sisterhood ist keine Pose.
Sie ist eine Haltung.
Und vielleicht beginnt sie genau dort – wo niemand hinschaut
Nona Simakis - Teilzeitheilige